Pressemitteilung zur HVG-Fachtagung „Interprofessionalität als Brücke zwischen den Gesundheitsberufen“

Im Rahmen der diesjährigen Fachtagung des Hochschulverbunds
Gesundheitsfachberufe (HVG) an der Medizinischen Fakultät OWL der Universität Bielefeld sprachen sich die Dekanin Prof. Dr. Claudia Hornberg und der Generalsekretär des Medizinischen Fakultätentages (MFT) Dr. Frank Wissing dafür aus, die Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie in Zukunft priorisiert auf einem gemeinsamen Campus auszubilden.

Zusammen lernen, zusammen arbeiten – das war die zentrale Botschaft der Tagung zum Thema „Interprofessionalität als Brücke zwischen den Gesundheitsberufen“, die am 25.03.2023 an der Medizinischen Fakultät der Universität Bielefeld stattfand. „Es ist
eine zentrale Notwendigkeit und Herausforderung, Formate für gemeinsames Lernen
flächendeckend an den Universitäten umzusetzen“, argumentierte Dr. Frank Wissing für den Medizinischen Fakultätentag. Das Interesse an einer interprofessionellen Ausbildung und einer beruflichen Tätigkeit in interprofessionellen Teams wird nachdrücklich auch von den Studierenden der Medizin formuliert, so die Erfahrung von Dr. Wissing. Um auf Augenhöhe miteinander und voneinander lernen zu können, sei eine gemeinsame hochschulische Ausbildung grundlegend. Die Universitätskliniken zeigten großes Interesse an hochschulisch ausgebildetem Personal aus den Therapieberufen. „Der Medizinische Fakultätentag unterstützt daher in der aktuellen Diskussion um die Ausbildungsreform der Therapieberufe die Forderung nach einem strukturierten Übergang der Berufsfachschulausbildung hin zu einer zukunftsfähigen Ausbildung an der Hochschule“, so Dr. Wissing.

Im Rahmen einer Podiumsdiskussion betonte Prof. Dr. Claudia Hornberg den hohen
Stellenwert, den interprofessionelle Kompetenzen im neu konzipierten Modellstudiengang Medizin der Universität Bielefeld haben. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit aller beteiligten Gesundheitsberufe sei zentral für eine hohe Versorgungsqualität, insbesondere in der Behandlung komplexer, oftmals chronischer Erkrankungen, aber ebenso im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung. Die Grundlagen für eine gute interprofessionelle Versorgung werde durch das gemeinsame Lernen aller Gesundheitsberufe gelegt. „Derzeit nehmen wir einmal im Jahr pro Kohorte 60 Studierende auf, zum Wintersemester 2025/2026 sollen es 300 werden. Damit wird interprofessionelles Lernen eine besondere Herausforderung!“, so Prof. Hornberg. Die gemeinsame Ausbildung auf einem Campus erleichtere nicht nur die curriculare und organisatorische Umsetzung, sondern ermögliche auch gemeinsames Lehren und Lernen der unterschiedlichen Studiengänge und Kohorten.

Am Beispiel von Österreich und der Schweiz, die 2009 bzw. 2004 den Schritt in die
Akademisierung der Therapieberufe umgesetzt haben, sei deutlich erkennbar, dass mit der Akademisierung auch eine Professionalisierung der Berufe einhergeht, erläuterte Prof. Dr. Hilke Hansen vom Hochschulverbund Gesundheitsfachberufe (HVG). Die Berufe unterstützen mit erweiterten Aufgaben die Gesundheitsversorgung und entwickeln notwendige spezialisierten Rollen. Das ist besonders in Zeiten des Fachkräftemangels von großer Bedeutung. Der Impuls einer vollständigen Akademisierung für die Forschung führt dazu, dass die Therapieberufe immer mehr berufsspezifisches Wissen generieren. Das ist nicht nur wichtig für die Versorgungspraxis, sondern auch für die Ausbildung. „Dieses Wissen stärkt die professionelle Identität der Berufsangehörigen als Grundlagen für die interprofessionelle Zusammenarbeit. Akademisierung und Professionalisierung unterstützen damit auch die notwendige Veränderung der traditionell hierarchisch geprägten Zusammenarbeit zwischen den Therapieberufen und der Medizin“, so Prof. Hansen.

Der Hochschulverbund Gesundheitsfachberufe begrüßt nachdrücklich die klare Positionierung der Hochschulmedizin für eine zukunftsfähige Ausbildungsreform, die die Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie vollständig an der Hochschule verankert.

Kontakt:

Hochschulverbund Gesundheitsfachberufe e.V., Prof. Dr. Bernhard Borgetto, vorstand@hv-gesundheitsfachberufe.de

 

 

Centrum für Hochschulentwicklung unterstützt Akademisierung der Therapieberufe als Beitrag zu einer zukunftsfesten Versorgung von Patient*innen

Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) nimmt sich in seiner Februarausgabe „DUZ Spotlight“ der Akademisierung und ihrer Umsetzung an. „Nichts geht voran“, so lautet eine der Überschriften zur Stagnation dieses Prozesses in allen drei Therapieberufen.

Gemeint sind damit jedoch nicht die Bemühungen einzelner Bundesländer und Hochschulen, die sich auch in der gegenwärtigen Situation nicht davon abhalten lassen, hochschulische Angebote für die drei Therapieberufe neu- und weiterzuentwickeln. Dass ein großes Interesse besteht, zeigt die Anzahl der Studienanfänger*innen, die seit 2005/2006 um fast das Fünffache gestiegen ist, so die Aussage der beiden Autorinnen Dr. Sigrun Nickel und Anna-Lena Thiele. Ein deutliches Zeichen, möchte man meinen. Jedoch weisen die Autorinnen zurecht darauf hin, dass die Politik keine eindeutigen Entscheidungen trifft. Das zu Anfang Mai 2022 angekündigte Gutachten des Wissenschaftsrates (WR) wurde zwar von vielen Seiten erwartet, bis heute jedoch nicht veröffentlicht. Dabei hatte der Sachverständigenrat bereits 2007 als Begründung für die Akademisierung angeführt, dass die Zukunft der Gesundheitsversorgung in Deutschland nur durch eine verbesserte interprofessionelle Zusammenarbeit der Therapieberufe gesichert werden könne. Die Sicherung einer adäquaten Patient*innenversorgung ist und bleibt eine gemeinsame Aufgabe.

Notwendig dafür sei, dass die sogenannten „nichtärztlichen Gesundheitsberufe“ eine eigene Fachexpertise und damit eine größere Eigenständigkeit erlangen.  Dies entsprach auch der Auffassung des Bundesrates, der 2008 die Modellklausel auch damit begründete die hochschulische Ausbildung könne den entsprechenden Berufen ermöglichen, eigene Fachexpertisen, in Abgrenzung zur ärztlichen Tätigkeit, neu- und weiterzuentwickeln. Angemerkt hierzu sei, dass bereits 2012 ein Expertenteam auf die strukturellen Voraussetzungen von Forschung für eine bedarfsgerechte Versorgung durch die Gesundheitsfachberufe aufmerksam machte.

Forschung ohne hochschulische Ausbildung ist nicht möglich, das ist der Politik aufzuzeigen und abzubilden. Seitens der Therapieberufe gibt es genug Material und Signale, das Warum? und das Wie? zur Umsetzung einer hochschulischen Ausbildung zu verdeutlichen. Nicht zuletzt durch die Kampagne und die Petition des Bündnisses Therapieberufe an die Hochschulen unter dem #zusammenTun und des Aufrufs „Vollakademisierung jetzt!“.

Die Unterstützung für die hochschulische Ausbildung der Therapieberufe Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapiedurch durch das Centrum für Hochschulentwicklung sieht nicht nur die Bemühungen um einen internationalen Anschluss der Entwicklungen in den Therapieberufen – sie erkennt auch den Beitrag der Professionen für eine patientengerechte, gesundheitliche und teilhabeorientierten Versorgung an. Den vollständigen Artikel von Nickel und Thiele können Sie hier abrufen.

Über das Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen:

Im Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen haben sich die mitgliederstärksten Berufs- und Ausbildungsverbände der Berufsfelder Ergotherapie, Logopädie sowie der Physiotherapie zusammengeschlossen. Gemeinsam repräsentieren sie die führenden Bündnisse der Hoch- und Berufsfachschulen sowie über 130.000 Ausübende und Auszubildende der Gesundheitsfachberufe Logopädie, Ergotherapie und Physiotherapie – und damit den Großteil der jeweiligen organisierten Arbeits- und Ausbildungsleistenden. Fast 15.000 Unterzeichner*innen unterstützen unsere Petition für eine Vollakademisierung der Therapieberufe bereits.

Kontakt

Prof. Dr. habil. Bernhard Borgetto, Bündnissprecher

kontakt@buendnis-therapieberufe.de

Vollakademisierung versus Teilakademisierung der Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie

Vertreterinnen der Regierungsparteien SPD und Grüne äußern sich im Rahmen einer Podiumsdiskussion positiv zu einer vollständigen hochschulischen Ausbildung im Rahmen der anstehenden Reform der Berufsgesetze in den Therapieberufen:

Das Thema Akademisierung der Gesundheitsberufe ist ein Dauerbrenner. Die Ausbildung von Ergotherapeut*innen, Logopäd*innen und Physiotherapeut*innen ist fast überall in der Welt ausschließlich hochschulisch – Deutschland hinkt den internationalen Standards deutlich hinterher. Nun bahnt sich aber eine Entscheidung pro Vollakademisierung der Ausbildung der Physiotherapeut*innen an: Das Bundesministerium für Gesundheit hat Eckpunkte für eine Reform der Berufsgesetze der Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie vorgelegt und bereits zwei Verbändeanhörungen zu den Berufen in der Physiotherapie durchgeführt.

In der Online-Podiumsdiskussion „Vollakademisierung vs. Teilakademisierung – Für die optimale Patientenversorgung durch Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie“ am 07. Oktober 2022 wurden vor 450 Teilnehmer*innen die Vor- und Nachteile einer Vollakademisierung abgewogen. Veranstalter waren der Hochschulverbund Gesundheitsfachberufe e.V. und das Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen.

Auf dem Podium diskutierten die Gesundheitspolitikerinnen

  • Bettina Müller, Mitglied der AG Gesundheit der SPD im Bundestag und
  • Saskia Weishaupt, Obfrau in der AG Gesundheit und Pflege von Bündnis 90 / Die Grünen im Bundestags

sowie

  • Andreas Pust, Vorsitzender VLL-Verband Leitender Lehrkräfte an Schulen für Physiotherapie Deutschland und Sprecher des VAST-Verbunds für die Ausbildung und das Studium in den Therapieberufen.

Expert*innen des Wissenschaftsrats (WR), der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), des Hochschulverbunds Gesundheitsfachberufe (HVG), des Studierendennetzwerks HochschuleJetzt!, des Aphasie Landesverbands Berlin e.V. und des Bündnisses Therapiefachberufe an die Hochschulen brachten Impulse in die Diskussion ein. Stefan Albani, Obmann der AG Bildung und Forschung der CDU/CSU musste seine Teilnahme krankheitsbedingt kurzfristig absagen.

Begriffsklärung

Zu Beginn erfolgte eine kurze Klärung der Begriffe durch den Moderator, Martin von Berswordt-Wallrabe. Unter Vollakademisierung ist eine ausschließlich hochschulische Berufsqualifikation zu verstehen, so wie sie international üblich ist. Teilakademisierung hingegen kann zwei Bedeutungen haben. Bislang wurde unter einer Teilakademisierung die anteilige Akademisierung eines Berufs verstanden – hochschulische und fachschulische Ausbildung als Parallelangebote. Neu in die Diskussion gekommen ist durch das Bundesministerium für Gesundheit das Verständnis der Teilakademisierung eines Berufsfelds, das verwandte Berufe umfasst, also im Fall der Physiotherapie eine vollständige Akademisierung der Ausbildung zur Physiotherapeut*in unter (reformierter) Beibehaltung eines berufsfachschulisch auszubildenden Berufs der Masseur*innen und medizinischen Bademeister*innen.

Im Kontext der Podiumsdiskussion standen Pro und Contra einer vollständigen Akademisierung der Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie im Mittelpunkt.

Versorgungsqualität

Prof. Uta Gaidys, Mitglied des Wissenschaftsrates (WR) referierte dessen Erkenntnisstand zur Akademisierung der Gesundheitsfachberufe. Die Herausforderungen der heutigen Zeit bestehen in den individuelleren Anforderungen an die Gesundheitsversorgung, in der technischen Entwicklung, der Ambulantisierung und Ökonomisierung des Gesundheitswesens. Nicht zuletzt stellt der demografische Wandel eine Herausforderung für den gesamten Gesundheitssektor dar. Die Menschen werden immer älter und mit den steigenden Lebensjahren nimmt auch die Zahl der Patient*innen zu, die mit chronischen Krankheiten leben und eine therapeutische Versorgung erhalten müssen. Die verkürzten Krankenhausaufenthalte erfordern mehr therapeutische Nachsorge und einen stärkeren Ausbau der ambulanten Versorgung. Damit einher geht die Ökonomisierung des Gesundheitswesens. Anzustreben ist, die bestmögliche Versorgung mit möglichst geringem Mitteleinsatz zu erreichen.

Prof. Gaidys verwies darauf, dass der Wissenschaftsrat im Jahre 2012  Empfehlungen zu hochschulischen Qualifikationen der Gesundheitsberufe herausgegeben hat. Damals empfahl der WR, dass 10 bis 20 Prozent der Ausbildungsabsolvent*innen einen akademischen Abschluss erlangen sollten. Nach aktuellem Stand sind in der Logopädie etwa ein Drittel der Berufsangehörigen akademisch ausgebildet, in der Physiotherapie etwa 16 Prozent und in der Ergotherapie nur 3 Prozent.

Abschließend wies die Professorin auf die Potenziale der Ausbildung an Hochschulen hin. Die hochschulische Ausbildung fördert eine wissenschaftsbasierte und leitlinienkonforme therapeutische Praxis. Eine evidenzbasierte Therapie erlaubt den Verzicht auf Maßnahmen, deren Wirksamkeit nicht belegt ist. An Hochschulen werden die angehenden Therapeut*innen zur Entscheidungsautonomie bis hin zum Direktzugang geführt und befähigt, erweiterte Kompetenzen und innovative Aufgaben zu übernehmen. Nicht zuletzt ermöglicht die Ansiedelung der Ausbildung an Hochschulen, dass sich eine auf die eigene Disziplin bezogene Forschung etabliert.

Die Abgeordneten Saskia Weishaupt (Grüne) und Bettina Müller (SPD) wiesen zunächst ausdrücklich darauf hin, dass ihre Parteien die Akademisierung in Form einer Vollakademisierung der Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie befürworten. Frau Weishaupt hob in diesem Zusammenhang die zunehmende Komplexität der Gesundheitsversorgung, insbesondere auch der Heilmittelerbringung hervor: „Diese verantwortungsvollen Aufgaben brauchen eine hochschulische Qualifikation. Sonst könnte man ja auch Ärzt*innen ohne Studium ausbilden.“  Hier eröffneten sich neue Aufgabenbereiche und die Möglichkeit zu mehr Eigenständigkeit für die Therapeut*innen. Beide Politikerinnen betonten, dass die Forderung nach Akademisierung nicht die Arbeitsleistungen der berufsfachschulisch qualifizierten Therapeut*innen in Frage stellen dürfe. Im Gegenteil, ihre Arbeit sei auch in Zukunft wertvoll. Alle Berufsangehörigen müssten in dem anstehenden Transformationsprozess – der noch viele Jahre in Anspruch nehmen wird – mitgenommen werden.

André Laqua, Vorsitzender des Aphasie Landesverbands Berlin und selbst Betroffener, betonte, dass eine fundierte und spezialisierte Ausbildung und die intensive Beschäftigung mit aktuellen Entwicklungen in der Aphasie-Therapie für den Therapieerfolg unerlässlich sind.

Andreas Pust, selbst leitende Lehrkraft an einer Berufsfachschule für Physiotherapie, wies auf die Schwächen des derzeitigen schulischen Ausbildungssystems hin. „Die aktuellen Rahmenbedingungen der fachschulischen Ausbildung limitieren die Kompetenzentwicklung.“ Anders als die hochschulische sei die fachschulische Ausbildung nicht darauf angelegt, Selbstständigkeit im Lernen und Arbeiten zu vermitteln. Dies münde in der bekannten Weisungsgebundenheit der Therapeut*innen und den hierarchischen Strukturen in ihrer Arbeitswelt. Damit solle die Arbeit der aktuell Berufstätigen nicht schlecht geredet werden, aber die Entwicklungen im Gesundheitswesen verlangten eine ständige Anpassung, so Pust.

Versorgungsquantität

Neben der Qualität der Heilmittelversorgung ist auch die Sicherung einer ausreichenden Anzahl qualifizierter Therapeut*innen ein zentraler Aspekt des Reformprozesses. Hierzu verlas der Moderator eine Frage aus dem Teilnehmerkreis: Ob Schüler*innen mit Mittlerem Schulabschluss (MSA) durch die Akademisierung nicht von den Therapieberufen ausgeschlossen würden und sich der Fachkräftemangel dadurch weiter verschärfe?

Diese Befürchtung wurde von den Diskussionsteilnehmer*innen nicht geteilt. Die studentische Vertreterin von HochschuleJetzt!, Annika Oberließen, betonte, dass selbständiges Denken und Handeln grundlegend für die therapeutische Tätigkeit sein und im Studium gefördert würde. Viele Interessierte wollten daher studieren. Frau Weishaupt (Grüne) wies auf die Vielzahl der Gesundheitsberufe hin, die mit einem MSA erlernt werden können und betonte, wie richtig und wichtig die Durchlässigkeit des Bildungssystems sei. Frau Müller, die in den vergangenen Jahren als SPD-Abgeordnete intensiv an der Reform der Pflegeausbildung beteiligt war, hob hervor, wie wichtig die Attraktivitätssteigerung der Therapieberufe für die Nachwuchssicherung sei. Dazu gehöre auch die Diskussion um den Direktzugang. Angesichts der sinkenden Zahl von Fachärzt*innen  auf dem Land, sei der Direktzugang nötig, um die Versorgung in der Fläche sicherzustellen.

Andreas Pust wies daraufhin, dass schon jetzt ein hoher Anteil der Ausbildungsbewerber*innen über eine Hochschulzugangsberechtigung verfüge: „Es gibt ein großes Potenzial an Bewerberinnen und Bewerbern. Dies haben unsere Nachbarländer eindrucksvoll gezeigt.“

Bettina Müller (SPD) führte abschließend die horizontale und vertikale Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems an. „Viele aktuelle Physiotherapeut*innen kennen die Zwischenstation über den Masseur und Medizinischen Bademeister noch.“

Frau Weishaupt (Grüne) machte abschließend noch einmal deutlich, dass es keine Verdrängung der bisher fachschulisch ausgebildeten Therapeut*innen geben würde. „Wir brauchen jede Hand im Gesundheitswesen“. Der Akademisierungsprozess brauche viel Zeit, die beabsichtigte Bildungsreform beträfe daher die nächsten Generationen.

Zeitlicher Ablauf

Als Mitglied der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) fasste Prof. Stefan Herzig die zwiespältige Situation so zusammen: einerseits herrsche in der Szene eine große Ungeduld, andererseits ist mit einem langfristigen Transformationsprozess bis zur Vollakademisierung zu rechnen. Er kritisierte, dass bisher kein Zeitplan für die Akademisierung der Gesundheitsberufe aufgestellt wurde. Eine Roadmap mit zeitlichen und inhaltlichen Meilensteinen werde dringend benötigt.

Frau Müller (SPD) wies als Mitwirkende bei der mittlerweile umgesetzten Vollakademisierung der Hebammen und der Teilakademisierung der Pflegekräfte darauf hin, dass die Länder drei Jahre gebraucht haben, um die Hebammenstudiengänge aufzubauen. Sie betonte, dass man bei den Heilmittelerbringer*innen nicht die gleichen Fehler machen dürfe, wie sie sich im Nachhinein z.T. bei den Hebammen und Pflegekräften gezeigt hätten. Es sei darauf zu achten, dass ein ausreichend großes Angebot an qualifizierten Lehrkräften an den Hochschulen für eine Vollakademisierung zur Verfügung stehe. Es fehle derzeit noch an Masterabsolvent*innen und Professor*innen. Schätzungsweise sei ein Zeitraum von 10 bis 15 Jahren bis zur vollständig hochschulischen Ausbildung in den Therapieberufen notwendig. Zwischenzeitlich müsse das zweigleisige, also auch das fachschulische Bildungsangebot bestehen bleiben. Die Entwicklung hin zur Vollakademisierung wäre zweistufig denkbar, in einem ersten Schritt könne, in einem zweiten müsse die Ausbildung akademisch sein, so Frau Müller.

Ausgestaltung der Studiengänge

Prof. Stefan Herzig von der Hochschulrektorenkonferenz betonte, dass die Hochschulen für die Akademisierung der Therapieausbildung gut gerüstet seien; die Studienabsolvent*innen seien „marktfähig und -willig“. Befragungen von Studienabsolvent*innen und Arbeitgeber*innen hätten gezeigt, dass die in der Berufspraxis geforderten Kompetenzen im Studium erworben werden und dass nahezu alle Studienabsolvent*innen in der Patientenversorgung tätig werden. An den Hochschulen bestehe die Möglichkeit des Kompetenzerwerbs auf innovativen Feldern, man denke an die Digitalisierung und die interprofessionelle Zusammenarbeit im Gesundheitswesen.

Als weiteren Vorteil der Akademisierung hob Saskia Weishaupt (Grüne) hervor, dass im Rahmen der hochschulischen Ausbildung eine Vereinheitlichung der Ausbildungsmöglichkeiten zustande kommen könne. Bei einer Teilakademisierung wäre es weiterhin für Interessent*innen undurchsichtig, wo fachschulisch ausgebildet wird, (zusätzlich der regionalen Unterschiede von Schulgeld und Ausbildungsvergütung) und wo hochschulisch ausgebildet wird. Auch für Patient*innen sind verschiedenen Abschlüsse, die an die gleiche Berufsbezeichnung geknüpft sind undurchsichtig. Eine Vollakademisierung würde hier Klarheit schaffen, welchen Weg man geht, um den Therapie Beruf zu Ergreifen und was ich als Patient*in von meinen Therapeut*innen erwarten kann.

Finanzierung der Ausbildung

Hierzu bemerkte Andreas Pust zunächst, dass die Attraktivität der Ausbildung durch die Ausbildungsvergütung nicht deutlich gesteigert werden konnte. Seiner Einschätzung nach sei von der Akademisierung der Therapieberufe und einer Kompetenzerweiterung in der Praxis mehr Attraktivität für die Berufe zu erwarten.

Zu den Kosten der fachschulischen und der hochschulischen Ausbildung hat Prof. Bernhard Borgetto, 1. Vorsitzender des Hochschulverbunds Gesundheitsfachberufe und Sprecher der Bündnisses Therapieberufe an die Hochschulen, recherchiert. Zu den Kosten der BFS-Ausbildung liegen Zahlen einer Umfrage des Deutschen Krankenhaus-Instituts (DKI) vor, zu den Kosten der HS-Ausbildung Einschätzungen von Expert*innen aus Hochschulen mit PQ-Studiengängen. Danach sind keine erheblichen Unterschiede in den Kosten eines Ausbildungs- bzw. Studienplatzes zu erwarten. Dadurch, dass an den Hochschulen die Ausbildung z.T. interdisziplinär und nicht – wie an den Fachschulen – durchgängig monodisziplinär erfolgt, seien Personal- und Kosteneinsparungen möglich, während die Sachkosten vergleichbar seien.

Prof. Borgetto äußerte sich auch zu der Zahl der für die Vollakademisierung benötigten Therapie-Studiengänge. Es müssten insgesamt 124 neue Studiengänge entstehen, in der genannten Übergangszeit von 10-15 Jahren entspräche dies der Neuschaffung eines neuen Studiengangs pro Bundesland innerhalb von zwei Jahren.

Aus dem Publikum wurde  die Frage nach einer Ausbildungsvergütung für die Studierenden eingebracht. Prof. Borgetto verwies darauf, dass diese hohe Kosten verursachen würde und für Studiengänge weder notwendig noch üblich seien. Die Kosten beliefen sich lt. Deutschem Krankenhaus-Institut auf etwa eine Milliarde Euro jährlich. Die Finanzierung läge dann in der Zuständigkeit der Krankenkassen. Bettina Müller (SPD) verwies hierzu auf die Form des Dualen Studiums bei den Hebammen: „Für eine Ausbildungsvergütung wäre das die beste Lösung.“

Saskia Weishaupt (Grüne) forderte, dass Bildung für die Auszubildenden bzw. Studierenden kostenfrei sein müsse. Die Ausgestaltung der Studiengänge für Gesundheitsfachberufe müsse insofern denen anderer Berufsgruppen gleichen. Ein elternunabhängiges BAföG und die Möglichkeit des Jobbens neben dem Studium müssen gegeben sein. Das typische Fachschulsystem mit seiner Präsenzpflicht mache dies unmöglich.

Fazit

Andreas Pust fasste in der Abschlussrunde das Kernproblem einer Teilakademisierung wie folgt zusammen: „Die Teilakademisierung spaltet den Markt. Patienten werden verunsichert, wer denn der kompetentere Behandler wäre. Ebenso entstehen hohe Kosten durch die zweigleisige Strategie.“ Bei einer rein hochschulischen Ausbildung würden u.a. auch die Ausbildungskosten der Berufsfachschulen für die Länder entfallen. Die Politik müsse das Ziel der Vollakademisierung jetzt konsequent in Angriff nehmen. An den Berufsfachschulen sei ein Potenzial an Lehrenden vorhanden, das im Transformationsprozess genutzt werden kann.

Bettina Müller (SPD) sieht in der Vollakademierung den einzigen Weg, die Forderungen des Wissenschaftsrates zu erfüllen; eine Teilakademisierung würde die Zielerreichung um Jahrzehnte verzögern. Mit Blick auf die Fehlentwicklungen in der Pflege wäre die Form eines dualen Studiums mit Ausbildungsvergütung empfehlenswert, um das Studium attraktiv zu gestalten.

Prof. Borgetto wies auf die Nachteile der mit einer Ausbildungsvergütung verbundenen Ausbildungsverträge hin: „Die Hochschulen dürfen nicht nur auf dem Papier die Gesamtverantwortung für das Studium haben, sie müssen auch faktisch den Einfluss haben, praktische und theoretische Ausbildung miteinander angemessen zu verzahnen und die Studierenden selbst auszuwählen. Zudem stellte er noch einmal die Machbarkeit der Vollakademisierung bei einem angemessenen Transformationszeitraum in den Vordergrund.

Saskia Weishaupt (Grüne) betonte abschließend erneut, dass alle Berufsangehörigen in dem anstehenden Transformationsprozess mitgenommen werden müssten. Da der Prozess viele Jahre dauern wird, sei eine Reform der berufsfachschulischen Ausbildung noch vor der Umstellung auf die Vollakademisierung notwendig. „Wenn wir die Qualität der Ausbildung und die Perspektiven für die jungen Therapeut*innen verbessern wollen, müssen wir die Finanzierung der Studiengänge ermöglichen“, so die Vertreterin der Grünen.

Herzlichen Dank für Ihr Interesse!

 

 

 

 

 

Zwei Berufe in der Physiotherapie unerlässlich für Patient*innenversorgung

Positionierung des Bündnisses Therapieberufe an die Hochschulen zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion:

 

Das Verfahren zur Novellierung des Gesetzes über die Berufe in der Physiotherapie (Masseur- und Physiotherapeutengesetz – MPhG) befindet sich derzeit in der Konzeptionsphase. Deshalb kann die Antwort der Bundesregierung (Drucksache 20/5128) auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU (Drucksache 20/4866) nur als Zwischenstand gesehen werden. Zu der Antwort der Bundesregierung positioniert sich das Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen wie folgt:

Im Sinne einer transparenten Patient*innenversorgung müssen mit der Berufsgesetzesnovellierung die Berufe in der Physiotherapie weiterhin klar abgrenzbare Ausbildungsformen und Kompetenzbereiche der Berufsgruppen einhergehen (vgl. § 3 und § 8 des aktuellen MPhG). Das Nebeneinander von hochschulisch und berufsfachschulisch ausgebildeten Physiotherapeut*innen erfüllt diese Forderung nicht. Sie ist weder dem Gesundheitswesen zuträglich noch für die Patient*innen nachvollziehbar.

Das Bündnis setzt sich für eine moderne, kompetenzorientierte berufsfachschulische Ausbildung für die derzeitige Berufsgruppe der Masseur*innen und Medizinischen Bademeister*innen ein. Davon abzugrenzen ist der Beruf der Physiotherapeut*innen, der zukünftig vollständig hochschulisch ausgebildet werden sollte. Dieser führt zu einer evidenzbasierten Patient*innenversorgung und ermöglicht die eindeutige Zuweisung des Behandlungsspektrums und die damit verbundenen Aufgaben der beiden Berufe.

Nur zwei klar definierte Berufe in der Physiotherapie mit spezifischen und ausdifferenzierten Kompetenzen schaffen langfristig Transparenz über die jeweiligen Behandlungsfelder gegenüber den Patient*innen, der Ärzteschaft und der Gesellschaft. Die künftige Ausgestaltung der Ausbildungsformen und der differenzierten Kompetenzen in den beiden Berufen der Physiotherapie muss sich an der demographischen Entwicklung der Gesellschaft, dem sich ändernden Krankheitsspektrum sowie Weiterentwicklungen und Forschungsergebnissen anderer Gesundheitsberufe orientieren und an diese anpassen.

Das Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen hält einen Transformationsprozess hin zu einer rein hochschulischen Ausbildung der Physiotherapeut*innen für dringend notwendig. Eine Übergangsphase von zehn bis 15 Jahren sichert die Kontinuität der Patient*innenversorgung und bietet allen am Prozess Beteiligten die Möglichkeit eines reibungslosen Übergangs und klarer Zukunfts- und Entwicklungsperspektiven.

Der berufsfachschulische Zugang für die Berufe in der Physiotherapie konnte den Fachkräftemangel nicht aufhalten. Die Engpassanalyse zeigt diesen deutlich auf. Dies beschreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort selbst (Drucksache 20/5128/S. 8). Deswegen ist es für die Sicherung der Patient*innenversorgung und die Berufsattraktivität unerlässlich, neue Zielgruppen zu erreichen und neben der berufsfachschulischen Ausbildung der Masseur*innen und Medizinischen Bademeister*innen, die regelhafte hochschulische Ausbildung der Physiotherapeut*innen zu implementieren.
Das Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen fordert von der Bundesregierung, die Berufsgesetznovellierung der Berufe in der Physiotherapie zu nutzen, um die beiden eigenständigen Berufe zu definieren und sowohl in ihren Ausbildungsformen als auch in ihren Kompetenzbereichen deutlich voneinander abzugrenzen.

Mehr Informationen über das Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen und dessen Aktivitäten finden Interessierte hier: https://buendnis-therapieberufe.de/.